Bodenloser Siebträger erklärt – was ist das und wie funktioniert es?
Servus, liebe Barulis,
heute tauchen wir mal wieder tief ein in die wunderbare, manchmal frustrierende, aber immer faszinierende Welt des Espressos. Wir haben schon über die Magie des Siebträgers an sich gefachsimpelt und warum das Wasser dabei eine entscheidende Rolle spielt. Aber es gibt ein Tool, das in den vergangenen Jahren einen echten Hype erlebt hat, primär auf Social Media, wo die perfekten Shots zelebriert werden: der bodenlose Siebträger, auch „Naked Portafilter" genannt.
Bodenloser Siebträger erklärt – was ist das und wie funktioniert es?
Stellt euch euren ganz normalen Siebträger vor – das gute Stück Metall, das ihr mit feinstem Kaffeepulver füllt und dann in eure Espressomaschine einspannt. Jetzt nehmt gedanklich den Boden und den Auslaufstutzen weg. Genau das ist ein bodenloser Siebträger! Statt dass der Espresso durch zwei Tüllen in die Tasse läuft, seht ihr direkt das Sieb und, ja, den nackten Puck darunter. Der Espresso sucht sich den direkten Weg und ergießt sich in einem (hoffentlich) wunderschönen, konischen Strahl direkt in eure Tasse.
Der Hype ist real, liebe Barulis! Überall auf Instagram, TikTok und YouTube seht ihr diese Slow-Motion-Aufnahmen von flüssigem Gold, das aus dem Sieb tropft und in der Tasse landet. Es sieht einfach spektakulär aus, und ja, ein perfekt gezogener Shot aus einem bodenlosen Siebträger ist ästhetisch kaum zu überbieten. Es ist der visuelle Beweis für einen gelungenen Espresso, die Kirsche auf der Sahnehaube für jeden Kaffee-Nerd. Aber der bodenlose Siebträger ist weit mehr als nur eine hübsche Geschichte für eure Insta-Story. Er ist ein gnadenloser Lehrmeister und ein unverzichtbares Diagnosewerkzeug.
Warum ist der bodenlose Siebträger so schwer einzustellen & was passiert, wenn man ihn falsch einstellt?
Okay, jetzt kommt die Schattenseite des Glanzes: Ein bodenloser Siebträger ist bockschwer zu meistern, besonders am Anfang. Warum? Weil er euch JEDEN Fehler in eurer Puckvorbereitung schonungslos aufzeigt. Während ein herkömmlicher Siebträger mit Auslauf kleinere Patzer verzeihen kann, indem er den Espresso sammelt und durch die Tüllen leitet, gibt der Bodenlose jedes Detail preis.
Stellt euch vor, ihr habt den Mahlgrad nicht perfekt getroffen. Ist er zu fein, wird der Widerstand zu hoch sein, und die Maschine wird vielleicht gar kein Wasser durchdrücken oder nur tröpfchenweise. Ist er zu grob, schießt das Wasser förmlich durch das Kaffeebett, viel zu schnell, und der Espresso schmeckt wässrig und unter extrahiert.
Aber das häufigste und sichtbarste Problem ist das sogenannte Channeling. Das ist, wenn sich das Wasser ungleichmäßige Wege, also „Kanäle“, durch das Kaffeepulver sucht, anstatt gleichmäßig und homogen zu extrahieren. Mit einem bodenlosen Siebträger seht ihr das SOFORT. Statt eines schönen, gleichmäßigen Strahls habt ihr mehrere dünne, spritzende Fontänen, die aus verschiedenen Stellen des Siebes kommen. Das sieht nicht nur unschön aus, sondern ruiniert auch den Geschmack komplett. Der Espresso wird bitter (durch Überextraktion an den Stellen, wo das Wasser zu schnell durchschießt) und gleichzeitig sauer/wässrig (durch Unterextraktion an den Stellen, wo kaum Wasser hinkommt).

Warum passiert Channeling? Die Gründe sind vielfältig, genau hier wird der bodenlose Siebträger zum Diagnosetool:
● Ungleichmäßige Verteilung: Das Kaffeepulver wurde nicht gleichmäßig im Sieb verteilt, es gibt Klumpen oder Hohlräume.
● Falsches Tampern: Der Druck beim Tampern war nicht gleichmäßig, eine Seite wurde fester gedrückt als die andere, oder der Puck ist schief.
● Mahlgrad: Ein unpassender Mahlgrad kann Channeling begünstigen.
● Dosing (Kaffeemenge): Zu viel oder zu wenig Kaffee im Sieb kann Probleme verursachen.
● Qualität der Mühle: Eine schlechte Mühle, die ungleichmäßig mahlt, ist ein Hauptverursacher für Channeling.
Der bodenlose Siebträger zwingt euch also dazu, eure gesamte Puckvorbereitung zu perfektionieren: vom Mahlen über das Verteilen (Distribution) bis hin zum Tampern. Jeder Schritt muss sitzen, sonst werdet ihr mit Channeling bestraft. Das kann am Anfang extrem frustrierend sein, aber es ist der schnellste Weg, um zu lernen, was in eurem Siebträger passiert und wie ihr es beeinflussen könnt.
Vorteile / Nachteile des bodenlosen Siebträgers erklären
Wie bei allem im Leben hat auch der bodenlose Siebträger seine Sonnenseiten und seine kleinen Tücken.
Vorteile:
● Diagnosewerkzeug Nummer Eins: Wie gerade ausführlich besprochen, ist er unübertroffen, um Fehler bei der Puckvorbereitung zu erkennen und zu beheben. Channeling wird sofort sichtbar. Wenn der Strahl nicht mittig und gleichmäßig ist, wisst ihr sofort, dass etwas nicht stimmt.
● Geschmack: Viele Baristas schwören darauf, dass der bodenlose Siebträger einen besseren Geschmack liefert. Da der Espresso keinen Kontakt mit dem Metallauslauf hat, entfällt hier eine mögliche Quelle für Geschmacksbeeinträchtigungen (z. B. durch Rückstände oder Material). Der Espresso fließt freier und der Puck kann sich während der Extraktion etwas ausdehnen, was zu einer potenziell besseren Extraktion führen kann.
● Crema: Oft wird berichtet, dass der bodenlose Siebträger eine vollere und stabilere Crema produziert. Da der Espresso nicht durch den Auslauf „geschlagen“ wird, bleibt die Crema ungestörter und entwickelt sich direkt in der Tasse.
● Reinigung: Die Reinigung ist oft einfacher, da es keinen Auslauf gibt, in dem sich Kaffeeöle und -reste ansammeln können. Ein schnelles Ausspülen genügt meistens.
● Ästhetik: Ja, wir müssen es zugeben: Es sieht einfach fantastisch aus! Der Blick auf die Extraktion ist faszinierend und macht die Zubereitung zu einem echten Erlebnis.
Nachteile:
● Zeigt jeden Fehler: Was ein Vorteil für die Diagnose ist, kann am Anfang auch demoralisierend sein. Jeder kleine Fehler wird sichtbar, was zu vielen „verpatzten“ Shots führen kann, bis man den Dreh raus hat.
● Spritzer-Alarm: Wenn die Puckvorbereitung nicht perfekt ist (Hallo, Channeling!), kann es ordentlich spritzen! Der Espresso schießt dann nicht als kompakter Strahl nach unten, sondern verteilt sich unkontrolliert. Eine breite Tasse oder eine spezielle Espressogläser mit enger Öffnung oben können helfen, die Sauerei in Grenzen zu halten.
● Schnellere Abkühlung: Da der Espresso direkt in die Tasse fließt und nicht durch einen angewärmten Auslauf läuft, kann er theoretisch etwas schneller abkühlen. In der Praxis ist das aber oft vernachlässigbar, besonders wenn die Tasse vorgewärmt ist.
● Wird oft aus den falschen Gründen gekauft: Viele steigen auf einen bodenlosen Siebträger um, weil sie die schicken Videos sehen, ohne sich der Herausforderung bewusst zu sein. Sie sind dann schnell frustriert, wenn die Ergebnisse nicht sofort perfekt sind.
Mehr als nur Instagram-Glamour: Der bodenlose Siebträger als Trainingsgerät
Vergesst für einen Moment die Insta-Reels und den Glamour. Der wahre Wert eines bodenlosen Siebträgers liegt in seiner Funktion als Lern- und Trainingswerkzeug. Wenn ihr wirklich verstehen wollt, was bei der Espressoextraktion in eurem Sieb passiert, dann führt kaum ein Weg am Bodenlosen vorbei.
Er zwingt euch, akribisch bei jedem Schritt der Puckvorbereitung zu sein. Ihr lernt, wie wichtig ein gleichmäßiger Mahlgrad ist und wie selbst kleine Veränderungen den Durchlauf beeinflussen. Ihr bekommt ein Gefühl dafür, wie sich das Kaffeepulver im Sieb verhalten sollte und wie entscheidend eine saubere und gleichmäßige Verteilung ist. Vor allem aber lernt ihr, perfekt zu tampern – gerade, fest genug und vor allem gleichmäßig.
Jeder Spritzer, jeder ungleichmäßige Strahl sind direktes Feedback. Statt euch zu ärgern, solltet ihr es als Chance sehen. Analysiert, was schiefgelaufen ist. Habt ihr zu fest oder zu weich getampert? War der Mahlgrad doch nicht optimal? Habt ihr das Pulver vor dem Tampern nicht richtig verteilt? Mit jedem „fehlerhaften“ Shot lernt ihr dazu und kommt dem perfekten Espresso einen Schritt näher.
Besonders das Channeling wird euer ständiger Begleiter sein, bis ihr eure Technik verfeinert habt. Aber genau das ist der Punkt! Wenn ihr Channeling im bodenlosen Siebträger minimiert oder sogar ganz vermeidet, dann könnt ihr sicher sein, dass eure Puckvorbereitung top ist. Und eine top Puckvorbereitung ist die Grundlage für einen hervorragenden Espresso, egal ob mit bodenlosem oder klassischem Siebträger.
Der bodenlose Siebträger ist also nicht nur ein Show-Tool für Kaffeenerds, die ihr Können auf Social Media präsentieren wollen. Er ist ein unverzichtbares Werkzeug für jeden, der die Kunst der Espressozubereitung wirklich meistern möchte. Er deckt eure Schwächen auf und zwingt euch dazu, besser zu werden.
Fazit
Der bodenlose Siebträger ist definitiv kein Anfänger-Siebträger, wenn man sofort perfekte Ergebnisse erwartet. Er erfordert Geduld, Übung und die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen. Aber wenn ihr bereit seid, euch der Herausforderung zu stellen, werdet ihr mit einem tieferen Verständnis für die Espressoextraktion belohnt und könnt euer Können auf ein neues Level heben.
Er ist das perfekte Werkzeug, um Channeling und andere Probleme bei der Puckvorbereitung zu diagnostizieren und eure Technik zu perfektionieren. Und ja, wenn dann der erste perfekte Shot in einem wunderschönen, gleichmäßigen Strahl aus dem bodenlosen Sieb fließt, ist das ein Moment puren Kaffeeglücks, der sich definitiv für ein (oder zwei!) Insta-Reels lohnt.
Also, traut euch an den Bodenlosen! Seht ihn nicht nur als Gadget für schöne Videos, sondern als euren persönlichen Barista-Coach. Er wird euch fordern, aber auch ungemein bereichern auf eurer Reise zum perfekten Espresso.
Bis bald und immer guten Shot!
Euer Baruli-Team