Pre-Infusion beim Siebträger erklärt - Wusstest du das schon?

Wer schon einmal vor einer Siebträgermaschine gestanden und den Brühvorgang aufmerksam beobachtet hat, kennt vielleicht diesen Moment: Noch bevor der Espresso in die Tasse fließt, tritt ein sanfter Wasserstrahl oder feiner Tropfenfluss auf den Kaffeepuck – fast so, als würde die Maschine kurz „anfühlen“, was da im Siebträger liegt. Dieser unscheinbare Augenblick ist in Wahrheit eine entscheidende Phase für den späteren Geschmack: die Pre-Infusion.

Für viele Heim-Baristi ist sie ein Aha-Moment, sobald sie verstehen, welche Wirkung sie hat. Denn Espressozubereitung ist eine Kombination aus Handwerk, Technik und Wissenschaft – und in diesem Zusammenspiel kommt der Pre-Infusion eine Schlüsselrolle zu. Sie kann darüber entscheiden, ob dein Espresso harmonisch, aromatisch und ausgewogen schmeckt oder ob er von Bitterkeit, Säurespitzen und unausgewogener Textur geprägt ist.

In diesem Artikel erkläre ich dir nicht nur, was Pre-Infusion ist, sondern auch, warum sie so wichtig ist, wie sie den Geschmack beeinflusst und wie du sie sogar bei anderen Brühmethoden einsetzen kannst.

Was ist Pre-Infusion?

Definition:
Pre-Infusion (auch Vorbrühung oder Vorbenetzung genannt) ist der Prozess, bei dem das Kaffeemehl vor der eigentlichen Extraktion sanft mit Wasser benetzt wird – in der Regel bei deutlich geringerem Druck als der spätere Brühdruck von etwa 9 bar.

Statt sofort die volle Kraft der Pumpe auf den trockenen Kaffeepuck wirken zu lassen, lässt man das Wasser zunächst vorsichtig einwirken. Ziel ist, dass das Kaffeemehl quillt, gleichmäßig durchfeuchtet wird und eventuelle Lufteinschlüsse entweichen.

Physikalischer Hintergrund:
Kaffeemehl besteht aus Hunderten winziger Partikel mit Zwischenräumen. Trockener Kaffee ist porös und enthält eingeschlossene Gase – insbesondere Kohlendioxid (CO₂), das beim Rösten entsteht. Wenn heißes Wasser unter hohem Druck auf trockenen Kaffee trifft, kann es unkontrolliert Wege suchen – sogenannte Channels. Durch Pre-Infusion füllt sich der Puck gleichmäßig mit Wasser, das CO₂ entweicht, und der Widerstand im Kaffeebett wird homogen.

Wofür sorgt sie? Vorteile darstellen – Bedeutung für eine gute Extraktion

Die Pre-Infusion wirkt gleich auf mehreren Ebenen:

  • Vermeidung von Channeling:
    Ohne Vorbenetzung können sich Wasserkanäle bilden, durch die das Wasser fast ungebremst fließt. Das führt zu Unterextraktion in manchen Bereichen und Überextraktion in anderen – beides beeinträchtigt den Geschmack.
  • Homogene Extraktion:
    Durch das gleichmäßige Anfeuchten und Aufquellen der Partikel kann das Wasser später alle Bereiche des Kaffeepucks erreichen. So werden lösliche Stoffe wie Säuren, Zucker und Öle gleichmäßig gelöst.
  • Bessere Aromenausbeute:
    Pre-Infusion hilft, feine Nuancen hervorzuholen, die sonst von Bitterkeit oder Säurespitzen überlagert werden. Besonders fruchtige oder florale Noten bei helleren Röstungen kommen so klarer zur Geltung.
  • Ausgewogene Textur:
    Die Tasse wirkt runder, balancierter und hat oft eine samtige Mundfülle. Auch die Crema profitiert – sie wird dichter und stabiler.
  • Bedeutung für die Extraktion:
    Espresso-Extraktion ist ein Balanceakt zwischen Durchflusszeit, Mahlgrad, Brühdruck, Temperatur und Kaffeemehlmenge. Die Pre-Infusion ist wie ein sanfter Start: Sie gibt dem Kaffee Zeit, sich vorzubereiten, bevor der volle Druck einsetzt. Dadurch wird die Extraktion planbarer und reproduzierbarer.
Uli vor Siebträgermaschine

Vergleich: Espresso / Kaffee mit Pre-Infusion vs. ohne Pre-Infusion

Mit Pre-Infusion

Gleichmäßige Extraktion über den gesamten Puck
Bei der Pre-Infusion wird das Kaffeemehl schonend und gleichmäßig mit Wasser benetzt, bevor der volle Brühdruck aufgebaut wird. Das sorgt dafür, dass alle Partikel gleichzeitig quellen und sich ausdehnen. Der Widerstand im Puck ist dadurch homogener, und das Wasser fließt später gleichmäßig durch alle Bereiche. Ergebnis: Jede Portion des Kaffeemehls gibt ihre löslichen Aromastoffe in ausgewogenem Maß ab.

Stabile, dichte Crema
Da die Extraktion gleichmäßiger verläuft und weniger CO₂ unkontrolliert entweicht, kann sich eine feine, geschlossene Crema bilden. Diese enthält emulgierte Kaffeeöle und feine Partikel, die dem Espresso eine samtige Textur und ein appetitliches Aussehen verleihen.

Harmonischer Geschmack, weniger Bitterspitzen
Durch den sanften Start der Extraktion werden Bitterstoffe nicht punktuell überbetont. Stattdessen löst sich die Aromatik gleichmäßig, wodurch Säure, Süße und Bitterkeit in ein besseres Gleichgewicht kommen.

Mehr Klarheit in den Aromen, besonders bei helleren Röstungen
Helle Röstungen enthalten oft fruchtige oder florale Noten, die bei ungleichmäßiger Extraktion verloren gehen oder von Bitterkeit überlagert werden. Die Pre-Infusion bringt diese Nuancen klarer zur Geltung, weil sie eine gleichmäßige Löslichkeit der komplexen Aromastoffe unterstützt.

Fehlerverzeihender bei leichten Tamp- oder Mahlgradabweichungen
Nicht jeder Shot wird perfekt getampt oder exakt gemahlen. Die Pre-Infusion gleicht kleinere Ungleichmäßigkeiten aus, indem das Wasser sanft in den Puck eindringt und mögliche „Schwachstellen“ im Widerstand angleicht, bevor der volle Druck wirkt.

Ohne Pre-Infusion

Höheres Risiko für Channeling und ungleichmäßige Extraktion
Wird das Kaffeemehl ohne Vorbenetzung sofort mit hohem Druck beaufschlagt, kann das Wasser unkontrolliert den Weg des geringsten Widerstands suchen. Dabei entstehen Kanäle, durch die das Wasser fast ungebremst fließt – und andere Bereiche bleiben unterextrahiert.

Unbalancierter Geschmack – gleichzeitig saure und bittere Noten möglich
Channeling führt dazu, dass einige Partikel über-, andere unterextrahiert werden. Das Ergebnis ist eine verwirrende Kombination: saure, unreife Noten aus unterextrahierten Bereichen und harte Bitterkeit aus überextrahierten Zonen – beides in einer Tasse.

Crema kann instabil oder ungleichmäßig sein
Durch die unkontrollierte Gasfreisetzung und die ungleichmäßige Extraktion entstehen Crema-Schichten, die schnell zusammenfallen oder fleckig wirken.

Vor allem bei frisch geröstetem Kaffee verstärkte Gasentwicklung, die den Wasserfluss stören kann
Frisch geröstete Bohnen enthalten viel CO₂. Ohne Pre-Infusion entweicht dieses Gas schlagartig beim Kontakt mit heißem Wasser und hohem Druck. Dadurch entstehen Blasen und Verwirbelungen im Puck, die den Wasserfluss stören und die Extraktion zusätzlich destabilisieren.

Praxisbeispiel

Stell dir vor, du beziehst zwei Espressoshots unter identischen Bedingungen – gleicher Kaffee, gleicher Mahlgrad, gleiche Menge, gleiche Temperatur.

Mit Pre-Infusion läuft der Espresso gleichmäßig aus beiden Siebträgerausläufen, die Crema ist dicht und stabil, der Geschmack ist harmonisch. Die Süße ist präsent, die Säure angenehm integriert, die Aromen wirken klar und sortiert.

Ohne Pre-Infusion setzt der Bezug oft ungleichmäßig ein, mal tropft es aus einem Auslauf mehr, mal weniger. Die Crema ist unruhig, und im Geschmack wechseln sich spitze Säure und harte Bitterkeit ab. Das Gesamtbild wirkt kantiger und weniger definiert.

Welche Maschinen nutzen generell Pre-Infusion?

Siebträger mit Pre-Infusion

Viele Siebträgermaschinen im mittleren bis oberen Segment haben eine Pre-Infusion integriert.

E61-Brühgruppen: nutzen oft einen passiven Pre-Infusionseffekt, bei dem Wasser durch die Brühgruppe langsam an den Puck gelangt, bevor der volle Druck aufgebaut wird.

Dualboiler oder Maschinen mit programmierbarer Steuerung: Hier lässt sich Dauer und Druck der Pre-Infusion einstellen – vom sanften Tropfen bis zu mehreren Sekunden bei moderatem Druck.

Hebelmaschinen: bieten eine natürliche Pre-Infusion, da der Brühdruck langsam steigt, während der Hebel betätigt wird.

Vollautomaten mit Pre-Infusion

Viele moderne Vollautomaten nennen es „Vorbrühen“ oder „Pre-Brewing“. Das Prinzip ist identisch: Kurzzeitige Wasserzufuhr vor der Hauptbrühung, um das Kaffeemehl zu benetzen und die Extraktion zu stabilisieren.

Filterkaffee mit Pre-Infusion

Auch bei Brühmethoden ohne Druck funktioniert Pre-Infusion:

Hario V60 oder andere Handfilter: Zunächst nur so viel Wasser aufgießen, dass das gesamte Kaffeemehl angefeuchtet ist. 20–30 Sekunden warten – dabei entgast der Kaffee sichtbar. Danach das restliche Brühwasser in Intervallen aufgießen.

Moccamaster und andere Batch Brewer: Manche Modelle haben eine Pausenfunktion oder einen Brühkopf, der anfangs nur wenig Wasser abgibt. Alternativ kann man den Brühvorgang kurz unterbrechen, um den „Bloom“ zu ermöglichen.

Fazit – kleine Technik, großer Effekt

Pre-Infusion ist kein Marketing-Trick, sondern ein echtes Qualitätswerkzeug. Sie wirkt unscheinbar, verändert aber das Ergebnis in der Tasse enorm. Indem du das Kaffeemehl sanft auf den vollen Brühdruck vorbereitest, schaffst du optimale Bedingungen für eine gleichmäßige Extraktion und eine klare Aromendarstellung.

Wer einmal den Unterschied zwischen einem Espresso mit und ohne Pre-Infusion bewusst probiert hat, wird diesen Schritt nicht mehr missen wollen. Es ist eine Technik, die sowohl Anfängern als auch Fortgeschrittenen hilft: Anfängern, weil sie Fehler wie ungleichmäßiges Tampen etwas verzeiht, und Profis, weil sie noch mehr Kontrolle und Konsistenz in die Tasse bringt.

Mein Tipp: Nimm dir Zeit, mit unterschiedlichen Pre-Infusion-Zeiten und -Drücken zu experimentieren. Halte deine Ergebnisse schriftlich fest und finde so deine persönliche Einstellung, die deinen Geschmack perfekt trifft. Du wirst überrascht sein, wie viel Potenzial in diesen wenigen Sekunden steckt.

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